
Nova Press, Zürich 1977
Sterben wie ein Mann. Report einer wahren Begebenheit im Schweizer Militär.
Als der Kommandant der Stabskompanie des ersten Maschbataillons, seinen speziellen Befehlen gehorchend, im Motel letzte Papiere und sein Rasierzeug in die Mappe packte, fiel ihm seine Pistole in die Hand. Sie hatte auf dem Tisch unterm Fenster gelegen. Dorthin hatte er sie gelegt, als er sich vor dem Duschen der dunkelgrünen Arbeitsjacke entledigt hatte; die Pistole lag neben der Kartentasche, wie so oft. Der Hauptmann hatte Zeit an diesem Morgen, noch etwas Zeit für Körperpflege und einige gemächlichere Verrichtungen wie gründliche Rasur, denn er hatte den Fahrer erst auf zehn Uhr zum Motel bestellt. Die Laster würden erst gegen Abend an ihrem Bestimmungsort ankommen, das wusste er, dafür war gesorgt, denn Fahrer und Mitfahrer würden die Zeit schon zu verbringen wissen. Hatte also auch er heute Zeit; eine seltene Sache für einen Kompaniekommandanten. Das verdankte er dem speziellen Befehl seines Majors, mit dem er kürzlich eine heftige Auseinandersetzung gehabt hatte wegen eines Arrestfalls. Die Beziehung zum Major hatte eine merkliche Verschlechterung erfahren, das hatte sich bis in die Mannschaft herumgesprochen. Seit ein paar Tagen war der Kadi anders, strenger – und wieder offener und zu Gesprächen aufgelegt; einfach anders als sonst. Hatte mit dem Soldaten, der einen wütenden Anruf des Majors entgegennehmen musste eines Nachts im Kompaniebüro – es ging um jenen Arrestfall – ein paar Worte über Wetterlage und Schneefall im hochgelegenen Übungsgebiet gewechselt, sich nach Temperatur und Wetter unten im Tal erkundigt, nachdem er sich vom Anruf des Majors hatte unterrichten lassen. Hat am Telefon sehr ruhig gesprochen und gesagt, er werde sogleich mit dem Major Fühlung aufnehmen und die Sache klären. Hat erzählt, man könne oben aus den Stellungen heraus noch nicht in den Gletscher schiessen, weil es schneie, schneie dicht wie Nebel. Die Männer stünden knöcheltief im Dreck. Hat gelacht, fast gelacht, weil er den Soldaten in einer warmen Stube wusste, aber: Jeder auf seinem Posten. Der Soldat hat darauf kaum etwas geantwortet.
Der Hauptmann ergriff seine Mütze, zog sie automatisch über den Scheitel und ging in die Wirtsstube hinunter. Er sah sich um und bemerkte, es war knapp nach neun, keine Militärperson dort sitzen. Die Serviererin frage nach seinem Wunsch. Er blickte sie kurz an, sagte, er wünsche im Augenblick nichts, sah, dass die Telefonkabine nicht erleuchtet war und ergriff die Türklinke zum Hinausgehen. Langsam stieg er die Treppe hoch, fast mühsam, dachte wohl an die Berggeher seiner Kompanie, stand dann oben. Er streckte sich und atmete ein. Im Flur vor seinem Zimmer blieb er einige Zeit am Fenster stehen. Dann wandte er sich um und öffnete die Tür. Im Zimmerinnern registrierte er, dass alle seine Sachen gepackt waren, stellte die Aktentasche mit persönlichen Effekten von der Kiste auf den Fussboden und schob beides gegen den Ausgang. Darauf setzte er sich aufs Bett, streckte die Hand nach der Pistole aus, die im Etui immer noch auf dem Tisch lag, und wog ihr Gewicht in der linken Hand.
Vorhin am Fenster war ihm ein Acker aufgefallen. Das freie Feld zwischen Motelhinterfront und Flugplatzpiste war ihm irgendwie ins Auge gesprungen. Daran dachte er, er dachte an das helle Feld vor dem Fenster draussen, schräg über die Furchen einfallendes Morgenlicht, das leere Feld, bereit für den Winter. Mit einem kurzen Ruck liess sich die Ledertasche öffnen, sodass jetzt der schwarze Griff der Waffe zum Vorschein kam und der untere Rand des Reservemagazins. Er legte beides, Etui und Waffe, neben sich auf die Bettdecke, stützte den Kopf in die Hände und schob mit dem Fuss den dünnen Teppich vor dem Bett zurecht.