Hänsel & Gretel im Wald.
Satire um Weltbewegendes

Haensel
Bernina, Zürich 1981

Die politische Wirklichkeit ist oft grausamer als im Märchen ...

Zu der Zeit, als Schneewittchen Babysitter bei Walt Disney-Productions war und zur Aufgabe hatte, die wilden Duck-Drillinge zu beaufsichtigen, berief die damalige UN-Generalsekretärin Piggy, bereits ergraut und mit Hängeohren, den Sicherheitsrat ein, weil eben die Nachricht durch die Weltpresse ging und insbesondere per Mondovision überall auf Mutter Erde sicht- und ruchbar wurde, dass Hänsel und Gretel in den düsteren Wald unterwegs waren. Zwar wurden sie zu diesem Zeitpunkt noch von ihren Eltern Hans und Else Andersen begleitet, aber wilde Spekulationen gingen den Ereignissen voraus, weil irgendwo im Pentagon eine Indiskretion stattgefunden haben musste betreffend den gefährlichen Ausgang der Geschichte, die irgend so ein übereifriger Schnüffler in Grimms Märchen nachgelesen hatte. Er griff den Ereignissen weit voraus, indem er die HEXE ins Spiel brachte, jenes Element der Zerstörung, das jeweils nicht nur die ganze Kinderwelt aufhorchen lässt, wenn von ihr auch nur die Rede ist. Frau Holle schüttelte der Witwe Bolte feine Bettfederchen ins Sauerkraut, während Rumpelstilzchen kurz vom Boden aufschaute, wo es eben beim Holzsammeln für sein Feuerchen war, um dem schrillen Pfiff B-Hörnchens zu lauschen.

Der Wolf heulte, weil ihm der Alarmton in den Ohren jenes Sausen erzeugte, das ihn noch jedesmal veranlasst hatte, Rotkäppchens Grossmutter einen Besuch abzustatten, nicht, um sie zu fressen, sondern ihr einfach Gesellschaft zu leisten beim täglichen Fernsehkonsum. Die alte Dame besass ein portables Gerät, das ihr der Jäger einmal mitgebracht hatte, weil er es leid war zu sehen, wie die Frau aus Einsamkeit und Langeweile meterlange Strümpfe strickte, die der schlacksigen Enkelin nun wirklich zu lang waren. Als Sparstrumpf für Dagobert Duck hätten sie allenfalls ihren Dienst getan. Das Gepiepse erinnerte den Wolf nämlich energisch und penetrant an den Sendeschluss, meistens vermischt mit dem Geschnarche der Greisin. Mit eingezogenem Schwanz trottete er dann jeweils aus der Hütte, nicht, bevor er mit nasser Schnauze den Apparat ausgeschaltet hatte, und verzog sich brummend in Richtung seiner eigenen Heim- und Wohnstatt. Frau Rot mochte nämlich am Morgen den scharfen Wolfsgeruch nicht leiden, wenn er sich einmal unterstanden hatte, die Nacht unterm Tisch zu verbringen. Dann setzte es Prügel ab mit dem Knüppel aus dem Sack. Aber der Wolf hatte meist gesehen, was ihn interessierte, die Wetterprognosen nämlich, und nahm die Unbequemlichkeit einer kürzeren Wanderung in Kauf, hingegen die Schläge nicht gerne.

Aber heute war die Sache ganz anders gewesen. Heute war Rotkäppchen dagewesen und hatte zu Füssen ihrer Grossmutter «Heidi» angeschaut. Die Sache mit Hänsel und Gretel hatte breiten Raum eingenommen im Nachrichtenblock. Sogar ein Korrespondentenbericht aus Disneyland und aus dem dunklen Märchenwald war ausgestrahlt worden, einerseits die Indiskretion betreffend – samt offiziellem Dementi –, andererseits den Vorgang im Wald, der allenthalben nichts Gutes ahnen liess. Rotkäppchen hatte während der ganzen Berichterstattung nervös das Stirnhaar des Wolfs gekrault, was dieser mit einem langgezogenen Grunzen belohnte, während die Grossmutter einige Maschen fallen liess.